17.10.2025

Marktkommentar | Kommentar zum Anleihemarkt: volatil, aber differenziert

Der September zeigte sich am Rentenmarkt als ein Monat der leisen, aber spürbaren Veränderungen. Trotz der historisch oft negativen Herbstsaisonalität begannen Marktteilnehmer, stärker zu differenzieren. Besonders auffällig war die Entwicklung bei Bundesanleihen: Am langen Ende, insbesondere bei den 10- und 30-jährigen Laufzeiten, konnte sich die Kurve erstmals seit Monaten von der globalen Dynamik steigender Renditen lösen. Die Kurvenversteilung, die zuletzt für Unruhe sorgte, wurde gestoppt. Damit gelang es dem langen Ende, einen positiven Performancebeitrag zu leisten – ein solides Fundament für einen insgesamt konstruktiven Anleihemonat.

USA: Magischer Realismus und geldpolitische Lockerung
In den USA hält der „magische Realismus“ an. Trotz fiskalischer Unsicherheiten und eines erneuten Government-Shutdowns – der mittlerweile fast schon zur Routine geworden ist – bleibt der Markt stabil. Die Frage, ob der Rekord-Shutdown von 2018/19 mit 35 Tagen übertroffen wird, bleibt offen. Doch auch dieses Risiko scheint den Kapitalmarkt weitgehend unbeeindruckt zu lassen, auch wenn der Blick auf die Konjunktur durch das Ausbleiben aktueller Daten zunehmend trübe wird.

Die zuvor noch veröffentlichten Arbeitsmarktdaten fielen erneut schwächer aus als erwartet, was die These „Bad News are Good News“ weiter stützt. Die Fed reagierte mit ihrer ersten Zinssenkung seit neun Monaten und reduzierte den Leitzins um 25 Basispunkte auf eine Spanne von 4,00 % bis 4,25 %. Bemerkenswert: Alle Mitglieder stimmten für einen normalen Zinsschritt von 25 Basispunkten, lediglich Stephen Miran – kürzlich von Donald Trump nominiert – votierte für eine aggressivere Senkung um 50 Basispunkte. Der Eindruck einer unabhängigen Fed konnte trotz politischem Gegenwind damit gewahrt werden.

Der Markt preist bis September 2026 vier weitere Zinssenkungen ein, was die Spanne auf 3,00 % bis 3,25 % reduzieren würde – ein Niveau, das mit den langfristigen Erwartungen der Fed-Mitglieder übereinstimmt. Sollte die Inflation jedoch hoch bleiben (die Kerninflation liegt weiterhin über 3 %), könnte Fed-Chef Powell gezwungen sein, einen falkenhafteren Kurs einzuschlagen. Dies würde nicht nur die Diskussion um die Unabhängigkeit der Fed neu entfachen, sondern auch die US-Renditen nach oben treiben. Allerdings verzögert der Shutdown die Veröffentlichung wichtiger Daten zum Arbeitsmarkt und der Inflation, was die geldpolitische Entscheidungsfindung erschwert.

Europa: Zinssenkungszyklus am Ende, Reformstau und fiskalische Risiken
In Europa hingegen scheint der Zinssenkungszyklus weitgehend abgeschlossen. EZB-Präsidentin Lagarde betonte, dass die Zinsen angesichts ausgeglichener Inflationsrisiken ausreichend angepasst seien und der disinflationäre Prozess vorüber sei. Zwar behält sich die EZB weitere Schritte vor, sollte der Zolleinfluss unerwartet stark ausfallen. Im Basisszenario sind jedoch keine weiteren Senkungen zu erwarten – eine Einschätzung, die auch vom Markt geteilt wird.

Die Zinskurven in Europa dürften sich daher wieder verflachen, insbesondere wenn sich der fiskalpolitische Wachstumsimpuls durch das Aufweichen der Schuldenbremse als temporär erweist. Auch die Emissionspolitik der europäischen Finanzagenturen sollte sich anpassen: Angesichts höherer Laufzeitprämien wäre ein zurückhaltenderes Verhalten am langen Ende sinnvoll. Zu hohe Realrenditen können einen restriktiven Effekt auf die Wirtschaft haben – ein Punkt, den auch die Bank of England erkannt hat, als sie ihr jährliches Bilanzkürzungsvolumen von 100 auf 70 Mrd. Pfund reduzierte.

Frankreich: Politische Unsicherheit und Spread-Ausweitung
Besonders im Fokus steht am Anleihenmarkt weiterhin Frankreich. Die turbulenten Rücktritte und Neubildungen der Regierungen infolge des Streits über den Haushaltsplan und die Rentenreform sorgten für Unruhe. Der Risikoaufschlag auf 10-Jahres-Bundesanleihen weitete sich zeitweise auf 85 Basispunkte aus. Denn das Risiko von Parlamentsneuwahlen ist deutlich gestiegen. Während andere Länder in Europa ihre Risikoprämien derzeit am unteren Ende der Spanne seit 2009 sehen, befindet sich Frankreich bereits in der Mitte dieser Range – ein Niveau, das während der Eurokrise die Extremwerte für die Grande Nation markierte. Dennoch erscheint eine nachhaltige Ausweitung auf über 100 Basispunkte unwahrscheinlich. Ein Grund für die bisher moderate Marktreaktion war das Kaufverhalten französischer Versicherungen und Banken, die offenbar auf eine implizite Unterstützung durch die EZB oder die EU vertrauen. Selbst im Falle von Neuwahlen und einer stark rechts- oder linksorientierten Regierung dürfte das Zuckerbrot-und-Peitsche-System der EU die Risikoprämien begrenzen: Stützungskäufe der EZB, wenn Frankreich die EU-Fiskalregeln einhält. Diese sehen eine jährliche Konsolidierung von mindestens 0,5 % vor – eine Vorgabe, die sogar den Forderungen der Opposition entsprechen könnte. Allerdings bleibt die Lage bis auf Weiteres angespannt: Bereits im September hatte Fitch das französische Rating von AA- auf A+ herabgestuft. Es ist zu erwarten, dass S&P und Moody’s folgen und ihre Bewertungen ebenfalls senken.

Fazit
Der vergangene Monat war von einer relativen Stabilisierung und beginnenden Differenzierung geprägt. Während die USA geldpolitisch auf Lockerungskurs bleiben und fiskalische Risiken erstaunlich gut absorbieren, mehren sich in Europa wieder die Anzeichen von Reformstau und strukturellen Herausforderungen. Frankreich bleibt das größte politische Risiko, doch die Marktreaktionen sind bislang moderat. Insgesamt bleibt das Umfeld volatil, aber differenziert – mit Chancen für selektive Positionierung, insbesondere am langen Ende europäischer Kurven.

 

 



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Unsere Autoren

John Petersen, CFA
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