28.04.2022

Börsenblatt | Oligarchen gegen Demokraten - wie der Krieg die Inflation verstärkt

Börsenblatt für die gebildeten Stände.

Nach der Schlacht bei Salamis und dem Sieg über das Perserreich erlebte Griechenland eine lange Friedenszeit, von 479 bis 431 v. Chr. Die Macht der athenischen Demokratie lag seit diesem Triumph auf dem Meer. Dank ihrer überlegenen Flotte konnte sie den gefährdeten Kleinstaaten auf den Inseln in der Ägäis Schutz vor den Persern gewähren. Das von einer militärisch geprägten Oligarchie regierte Sparta hingegen war eine Landmacht und kontrollierte die Peloponnes, Böotien und einen Teil Makedoniens. Beide Mächte verstanden es, immer mehr Kleinstaaten an sich zu binden. Als von diesen kaum noch eine unabhängig war, gerieten die beiden Großmächte aneinander, indem sie sich in die inneren Angelegenheiten von Angehörigen des gegnerischen Lagers einmischten, mit der Absicht diese auf ihre Seite zu ziehen. Als die korinthische Kolonie Potidea mit Hilfe ihrer (mit Sparta verbündeten) Mutterstadt den Attischen Seebund zu verlassen versuchte, reagierte Athen mit Handelssanktionen gegen Megara, das wiederum dem Peloponnesischen Bund angehörte. Korinth und Megara forderten daraufhin ihre Schutzmacht zum Krieg gegen die Demokratien auf. Sparta kam dieser Bitte gerne nach, zumal Athen durch eine Pandemie (in diesem Fall: die Pest) geschwächt war.

Das Ringen zwischen Oligarchien und Demokratien um Staaten, die das Lager wechseln wollen, ist nicht neu und – auch das lernen wir aus dem Peloponnesischen Krieg – es geht nicht immer gut aus für die Demokratien. Diese scheinen sich allzu oft auf ihre wirtschaftliche Überlegenheit zu verlassen – das lässt sich bereits in Thukydides‘ Buch über den Peloponnesischen Krieg nachlesen. Aber auch diese Art der Überlegenheit nutzt sich ab. Der Konsens wird brüchig, wenn der Wohlstand leidet.

Der gegenwärtige Krieg in der Ukraine ist in seinem Ausgang noch offen. Er kann mit einem Atomkrieg oder der Implosion Russlands oder vielen Szenarien dazwischen enden. Wir wissen nur so viel: Er wird für alle Beteiligten und Unbeteiligten sehr teuer. Bevor er zu einem Ende kommt, wird er vermutlich noch einige Eskalationsstufen durchlaufen – und auf einer von ihnen werden wahrscheinlich auch die russischen Gasexporte nach Deutschland zum Erliegen kommen. Die dramatisch gestiegenen Rohstoffpreise sorgen in vielen Schwellenländern für unerschwingliche Brotpreise, und in der westlichen Welt für einen Inflationsschub, der zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt kommt.

Diese Inflation hat aber eine lange Vorgeschichte und wurde nicht allein durch den russischen Überfall verursacht. Schon 2021 war in den USA unübersehbar, dass die Preissteigerungen nicht nur mit den Problemen in manchen Lieferketten zu tun hatten, sondern immer stärker mit der großzügigen Unterstützung, welche der (amerikanische) Staat den privaten Haushalten über die Corona-Zeit zukommen ließ. Viele Menschen verzeichneten während der Pandemie teilweise ein höheres Einkommen als zuvor, das sie angesichts der allgemeinen Einschränkungen kaum ausgeben konnten. Angesichts ihrer prallvollen Konten sahen nach dem Ende der Pandemie viele Arbeitnehmer nicht ein, warum sie auf ihre alten Arbeitsplätze zurückkehren sollten – wenn sie sich nicht gleich ganz aus dem Arbeitsleben zurückzogen. Also stiegen die Löhne und mit ihnen die Preise. Unterdessen realisierte die Federal Reserve lange nicht, dass sich hier ein nachhaltiges Inflationsproblem zusammenbraute und hielt die Zinsen zu lange zu niedrig. (Die Zinsschraube, das bevorzugte Mittel der Zentralbanken, wirkt ohnehin nur längerfristig, während der durch den Fiskus ausgelöste Preisschub sofort spürbar wurde – der Werkzeugkasten der Fed war also nur beschränkt brauchbar.) Für Europa lässt sich, in abgemilderter Form, eine ähnliche Geschichte erzählen, nur dass hier die Zentralbank bis heute das Inflationsthema nicht in seiner Tragweite erkannt zu haben scheint. Die Preise steigen in beinahe allen Bereichen, die Zweitrundeneffekte sind deutlich sichtbar und mit einer baldigen Umkehr der Entwicklung ist nicht zu rechnen. Dennoch halten die Europäer an ihrer extrem lockeren Geldpolitik fest. Das kann kaum gut gehen.

Zu diesen Politikfehlern des vergangenen Jahres kam nun noch der durch den Überfall auf die Ukraine ausgelöste Preisschock bei Energie und Agrarrohstoffen. Es liegt in der Logik dieses Krieges, dass er lange dauern wird - denn augenscheinlich können ihn die Russen weder gewinnen noch verlieren. Und es liegt in der Logik der Sanktionen, für ein steigendes Preisniveau zu sorgen (Die Deutschen müssen das wissen, denn nach dem Ersten Weltkrieg wurden an Deutschland und Österreich Sanktionen erstmals (erfolglos) als Mittel ausprobiert, um einen feindlich gesonnenen Staat politisch in die „richtige“ Richtung zu zwingen). Lieferketten sind dauerhaft zerstört und müssen nach der Erfahrung der letzten Jahre (u.a. mit China) durch deutlich kompliziertere, aber resilientere Liefernetze ersetzt werden. Die Inflation wird damit für einen längeren Zeitraum höher bleiben, als die aktuellen Prognosen der Zentralbanken es vermuten lassen. Eine lang andauernde Inflation lädt zu Zweitrundeneffekten ein (z.B. hohe Lohnforderungen oder Mieterhöhungen). Für die Wirtschaft ist dies keine gute Nachricht.

Die passendste historische Analogie zur gegenwärtigen Situation sind die 60er- und 70er-Jahre. Damals leisteten sich die USA unter dem Präsidenten Lyndon Johnson sowohl einen kostspieligen Ausbau des Sozialstaats als auch den desaströsen Vietnamkrieg. Auch damals hatte der Staat ohne Not alle Voraussetzungen für eine Inflation geschaffen – und als auch noch Pech dazu kam, stiegen die Preise schnell und auf breiter Front. Das Pech bestand 1973 im Überfall der Araber auf Israel (Jom-Kippur-Krieg), der die Rohölpreise rasant ansteigen ließ, etwa so extrem wie die Energiepreise seit dem Russischen Überfall auf die Ukraine. Damals wie heute waren zu viele ungedeckte Schecks im Umlauf, damals wie heute kam es mit dem Energiepreisschock zu einem Ketchupflaschen-Effekt: Lange Zeit kam keine nennenswerte Inflation auf, obwohl alle Voraussetzungen geschaffen waren – aber als sie kam, kam sie mit solcher Geschwindigkeit, dass die Reaktion der Zentralbank zu spät und zu schwach ausfiel.

Um es deutlich zu sagen: Inflationen hinterlassen, je länger sie dauern, desto größere Schäden, deren Auswirkungen in Wirtschaft und Gesellschaft erst mit der Zeit offensichtlich werden. Ab etwa 4% wird die Inflation zum Problem: Sie wird dann so volatil, dass Unternehmen Schwierigkeiten bekommen, ihre Preise zu kalkulieren. Ärmere Gesellschaftsschichten erleben ab dieser Preissteigerungsrate häufig einen realen Kaufkraftverlust. Über diese Schwelle sind wir nun hinaus (in den USA hat die Inflationsrate ein 40-Jahres-Hoch markiert) und werden es noch längere Zeit bleiben. Um die Geldentwertung in den Griff zu bekommen, werden die Zentralbanken die Financial Conditions (d.h. den Mix aus Aktienkursniveau, Wechselkursen, Zinsniveau und Risikoaufschlägen, der bestimmt, wie locker das Geld im Allgemeinen sitzt) so lange verschärfen, bis die Inflationsraten und -erwartungen sich wieder im Zielkorridor befinden. Alle Komponenten der Financial Conditions können Stellschrauben bei der Inflationsbekämpfung sein, aber das Hauptaugenmerk der Zentralbanken liegt auf der Zinsentwicklung, denn nur hier haben sie direkten Einfluss. So ist zu erwarten, dass die Zinsen bald wieder oberhalb der Inflationsrate liegen müssen (d.h. der reale Zins muss wieder positiv werden, wozu ein Zinsniveau von 4% bis 5% nötig sein könnte). Wann es so weit ist und wie der Pfad dorthin aussieht, wird die wesentliche Frage für die Märkte in den nächsten Monaten und Jahren sein.

Diese Umstände lassen für sehr viele Assets ungemütliche Zeiten vermuten. Und in der Tat ist für alle Assetklassen, die zinssensitiv sind (insbesondere Anleihen und Immobilien) ein schlechtes Jahr zu erwarten. Diese Aussage sollte aber nicht über den Bereich ausgedehnt werden, für den sie intendiert ist. Denn es ist einiges bereits passiert: Die Aktienkurse sind teilweise kräftig gefallen, die Immobilienpreise ebenfalls (wenn die Kurse börsennotierter Immobilienunternehmen ein Indikator sind) und die Risikoaufschläge für Unternehmensanleihen haben ein teilweise auskömmliches Niveau erreicht. Die Zinsen der 10-jährigen deutschen Staatsanleihen sind allein seit dem Jahreswechsel um über 1% gestiegen.

Glücklicherweise treffen diese Entwicklungen auf eine Konjunktur, die viel Schwung nach dem Ende der Pandemie hatte. Es gibt erheblichen Nachholbedarf, insbesondere im entscheidend wichtigen Dienstleistungssektor. Die Menschen wollen wieder ins Kino und Theater gehen, sie wollen wieder verreisen und sie wollen ihre Drinks wieder in einer Bar trinken. So führt der Weg der Konjunktur nun zwar durch eine ungewohnt hohe Anzahl von Hindernissen, aber sie ist mit einer derart hohen Geschwindigkeit unterwegs, dass sie, stolpernd zwar, den Absturz in eine Rezession vermeiden könnte.

Dies erklärt, warum der Aktienmarkt sich gegenwärtig noch verhältnismäßig gut hält. In Perioden hoher Inflationsraten ist es ohnehin eine gute Idee, Aktien, Rohstoffe oder Gold zu besitzen. Anleihen haben, sofern sie keinen eingebauten Inflationsschutz haben, ohnehin einen schweren Stand. Ebenso steht es mit Immobilien, die in der Regel über Kredite finanziert werden und so (trotz langsam steigender Mieten) immer weniger solvente Käufer finden. Es bleiben also die Aktien von Unternehmen, die eine hinreichend große Marktmacht haben, um höhere Preise an ihre Kunden weitergeben zu können. Sie sind relative Gewinner in einer Situation, die sehr viele Verlierer kennt.

Es ist bekannt, wie der Peloponnesische Krieg ausging: Sparta hatte militärisch das bessere Ende für sich und Athen wurde, nach den Plänen des genialen spartanischen Feldherren Lysander, in eine Oligarchie umgewandelt. Diese hielt sich aber nicht lange, da sie dem Wesen der Athener widersprach. Die Demokratie kehrte einige Jahre später in einem schleichenden Prozess zurück.

Auch die Vorherrschaft Spartas in Griechenland blieb instabil. Zehn Jahre nach der Niederlage Athens begann der Korinthische Krieg, in dessen Eröffnungsschlacht Lysander bereits fiel. Es folgten acht ergebnislose Jahre auf verschiedenen Schlachtfeldern. Gewinn zogen aus dieser Situation einzig die Perser, die es immer wieder verstanden, die Griechen gegeneinander anzustacheln.

So scheint sich ein historisches Muster zu wiederholen: Wenn die Europäer miteinander Krieg führen, sitzt der Gewinner weit im Osten und muss nichts tun, als diskret für die Verlängerung des Konflikts zu sorgen und dann abzuwarten.

 

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Dr. Georg von Wallwitz
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Geschäftsführender Gesellschafter | Lead Portfoliomanager

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